»iJam«
Photo: Boris Petrovsky (bp)

Projekt Title: REFLEX

»REFLEX – Helligkeit+Wirkung«


Exhibition/Duoausstellung

Boris Petrovsky und Nikolaus Koliusis


Galerie ABTART, Stuttgart (Germany)

AUSSTELLUNGSDAUER / DURATION OF THE EXHIBITION: 07.02.–20.04.2012

 

Opening / Vernissage: Friday, the 17th of February, 7.30 pm / Freitag, 17. Februar 2012, 19:30 Uhr

Opening Speech / Einführung: Adrienne Braun (Stuttgarter Zeitung, ART, SZ)

Friday, 17th of March until 20th of April 2012 /Freitag 17.2. – 20.4.2012



Aus der Einführungsrede zur Ausstellung »Reflex« von / Excerpt from the o

pening Speech by

Adrienne Braun (Stuttgarter Zeitung, ART, SZ), 16.2.2012

 

»Boris Petrovskys „Cluster“-Installationen bestehen aus verwobenen Neonröhren, technischen Materialien, Plexiglas und Silikon. Daraus formt er Buchstaben, Zeichen oder abstrakte Formen und Strukturen, die thematisch miteinander zu sogenannten „iClustern“ verwoben werden. Die Neonglasröhren beleuchten mit dicht umschlungenen Verkabelungen die Installationen, in denen auch immer wieder verschiedene Bewegungen ablaufen.«


»(...) Boris Petrovsky holt dagegen etwas herein in den Galerieraum, was eindeutig draußen verortet ist im öffentlichen Raum. Während Nikolaus Koliusis auf schlichtes, pures, schönes Material setzt, auf Klarheit und Brillanz, kommt bei Boris Petrovsky das zum Einsatz, was eigentlich auf den Sondermüll gehört: Er arbeitet mit ausrangierten Neonröhren, mit Schriftzügen, die Produkte bewarben, mit Logos, die Designer einst liebevoll entworfen haben für die Sparkasse oder Mc Donalds, für Maggi oder die Volksbank, Quelle oder die Bahn. Boris Petrovsky nutzt Reste dieser Leuchtwerbung, um daraus Skulpturen zu fertigen.
Warum aber greift ein Künstler ausgerechnet zu Relikten der Konsumindustrie, die eines Tages sogar zu unserem Verhängnis werden könnte? Hätte Boris Petrovsky nicht etwas wählen können, das werthaltiger ist, kunstwürdiges, als ausgerechnet die schnöde Warenwelt? 
Aber das Museum, die Kunst ist schon lang nicht mehr der süße Sehnsuchtsort, der uns mit religiösen Heilsversprechungen beglückt oder uns zumindest kulinarische Seherlebnisse ermöglicht. 
Boris Petrovsky referiert auf unsere aktuelle Lebenswelt – nicht nur inhaltlich, sondern er geht noch einen Schritt weiter und greift auf authentisches Material zurück. Boris Petrovsky repräsentiert nicht mehr das Ingenium, den göttlichen Schöpfer, der mit werthaltigen Materialien etwas ganz Eigenes schafft. Er steht für eine Generation, deren Kunst in der Gegenwart verortet ist, mittendrin an den Schauplätzen unserer Gesellschaft – und nicht außerhalb.  
Die Schriftzüge, die Boris Petrovsky benutzt, sind Symbole der Konsumindustrie und ihrer Versprechen. Sie verweisen auf das, was unsere Gesellschaft heute beherrscht: den Konsum als Basis des ökonomischen Systems. 
Aber es geht um mehr, nämlich auch um die Strategien dieses Systems: Es geht um Marken, Logos, Labels, Embleme. Die Konstruktion von Marken betrifft ja längst nicht mehr nur die Produktwelt, sondern reicht tief in die Gesellschaft hinein. Diese Verknappung auf eine Marke, das Branding, hat auch längst in die Kunst Einzug gehalten.
Wenn Sie abends durch eine Stadt gehen, dann prägt nicht mehr die Architektur das Stadtbild, sondern es wird dominiert von diesen Verlockungen und visuellen Ködern der Markenwelt. Stadt, Architektur, öffentlicher Raum sind heute nahezu identisch mit eben diesen Schriftzügen. 

Aber Boris Petrovsky ist nicht Kulturwissenschaftler, sondern Künstler. Er verwendet entsprechend nur Fragmente, die oft auch Gebrauchsspuren tragen und die er mit neuem Material kombiniert. Er saugt die Bildwelt, unsere Alltagswelt auf - und generiert etwas Neues. Er verknotet und verknäult die Leuchtröhren zu komplexen Konfigurationen.
Er nutzt das Material so, wie ein klassischer Bildhauer den Ton oder das Holz bearbeitet hätte. Es entstehen dreidimensionale Objekte, die Innenraum und Außenraum definieren und zugleich hinterfragen.  

In den Objekten steckt ein Gutmaß an Kunsthandwerk – denn es sind selbst tragende Konstruktionen. Die Röhren sind raffiniert ineinander verzahnt, ohne sich zu berühren, so dass sich ein virtuoses Zusammenspiel der Linien ergibt.
Boris Petrovskys Arbeiten sind einerseits klassische bildhauerische Objekte. Gleichzeitig schreibt er aber auch im Raum, zudem bringen die zahllosen Schattierungen der Weißtöne eine eigene malerische Qualität ins Objekt hinein.

Was aber bleibt von den Schriftzügen, nachdem Boris Petrovsky sie zu räumlichen Gebilden verarbeitet hat, zu ästhetisch anspruchsvollen Konstruktionen in der Tradition der Lichtkunst?
Natürlich steckt in den Fragmenten noch Bedeutung. Man mag sie nicht auf Anhieb dechiffrieren, aber meist spürt man, dass da vertraute Zeichen sind. Die Schriftzüge, die Farben, die Typen hat man uns so eingebrannt, wie man Kühen mit dem Eisen ihr Branding einbrennt. 
Allerdings hat sich die Bedeutung der sprachlichen Zeichen verflüssigt. Die Zeichenfragmente sind dabei, ihre Aussage einzubüßen und zu bloßem Material zu werden. So skizzieren die Cluster, diese komplexen Gebilde den schmalen Grad zwischen der noch möglichen Lesbarkeit und dem reinem Ornament. 
Damit markiert Boris Petrovsky einen Transformationsprozess, einen Übergang, der so schwierig zu greifen und festzuklopfen ist wie der Übergang vom realen in den illusionären Raum bei Nikolaus Koliusis. 
Es fällt uns oft schwer, zu ertragen, dass sich Dinge nicht klar benennen, festlegen, einordnen lassen. Beide Künstler zeigen uns, das es ein transitorisches Dazwischen gibt, Zwischenräume, die sich nicht eindeutige lesen lassen. 
Das evoziert ein gewisses Unbehagen, denn wir wollen doch klare Botschaften, Definier- und Kalkulierbares.
Aber die Kunst hilft uns, nicht in diesem Un-Raum, in diesem Dazwischen im Bodenloses zu versinken, sondern sie gibt uns mit ihren ästhetischen Konzepten einen Halt, einen Rahmen. 
Ich möchte Sie deshalb ermuntern, es zu wagen, sich an diese Zwischenzonen heranzutasten, nur für einen Moment zu schauen, wie es ist, wenn all unsere sicher geglaubten Kategorien nicht mehr gültig sind. Andere würden dazu vielleicht Drogen nehmen oder in Trance verfallen, die Kunst aber liefert zusätzlich zu dieser Selbsterweiterung auch noch ästhetisches Vergnügen. Deshalb überlasse ich Sie den Arbeiten von Nikolaus Koliusis und Boris Petrovsky.«

»Bis zum 20.4. stellt Petrovsky in der Galerie sogenannte „iCluster“ aus, die bewusst an die Idee von medialer Ich-Erweiterung der Apple- Produkte anknüpfen. Die Objekte aus recycelten Neonröhren wirken zunächst, als wäre das Frühwerk Bruce Naumans in den Schleudergang geraten, bieten als wandelbare Informationsträger aber wiederum performatives Potenzial.«

Julika Nehb, KUNST Magazin. 10.04.2012